Ein Boot zum Fliegen

(Focus)

Mit der futuristischen „Hydroptère“ ist der Franzose Alain Thébault erfolgreich auf Segel-Weltrekord-Jagd


© Gilles Martin-Raget
Die Hydroptere beim Trainingslauf kurz vor dem Abheben

Plötzlich ein Schlag. Eine Böe erfasst die „Hydroptère“ und klatscht das Boot hart auf die See. Die Mannschaft auf dem Seitenflügel, fünf Meter über dem Meer, verkeilt sich zwischen Schiff und Reling, dann wird sie von einem Schwall Wasser überspült. Konstrukteur Alain Thébault schüttelt sich die Haare und grinst: „Bei mir kommen nur Leute in die Mannschaft, die dieses leichtsinnige Funkeln in den Augen haben.“


© Céline Levy
Mit dem schnellsten Segelboot aller Zeiten brechen der Bretone Alain Thébault und seine Mannschaft alle Rekorde

Das ist auch nötig, denn der futuristische Trimaran, der gerade in den Gewässern vor Marseille kreuzt, ist sensibel. „Bei hohen Geschwindigkeiten haben wir nur drei kleine Kontaktflächen zum Wasser“, erklärt Thébault. „Das ganze Gewicht des Bootes hängt an ihnen. Wenn es dort ein Problem gibt, kann das wirklich verheerend sein.“ Dieses Risiko muss sein, wenn der Franzose seinen Traum wahrmachen will. Er heißt: mit dem Tragflügelsegelboot „LHydroptère“ den Geschwindigkeitsweltrekord von 50 Knoten (92,6 km/h) über eine Strecke von 500 Metern zu brechen.


© Andrea Schuhmacher
Mit 28, 7 Knoten steuert die Autorin die Hydroptère vorbei an der Insel Frioul. Ihr persönlicher Rekord mit der Crew des High-Speed-Trimaran liegt bei 34,7 Knoten

Alain Thébault fixiert seinen weißen Schalensitz auf der Backbord-Kufe und quetscht sich wieder hinter das Steuerrad. Noch gleitet die „Hydroptère“ wie ein konventioneller Trimaran auf ihren drei Kufen übers Meer. Die Crew beobachtet die Takelage mit Argusaugen, gelegentlich springt einer der Segler wie auf einem Trampolin über die Netze zwischen den Rümpfen und dreht an Schräubchen und Kurbeln.

Unten in der spartanischen Schlupfkajüte verfolgt Testingenieur Damien Colegrave am Computermonitor die Werte der 65 Sensoren, die an den stark belasteten Teilen angebracht sind. Bei zwölf Knoten (ca. 22 km/h) fährt die „Hydroptère“ ihre „Foils“ aus. Wenig später zischt sie wie ein geflügeltes Insekt mit 28 Knoten (ca. 52 km/h) über das Wasser. Aus den Augenwinkeln sieht man die Inselfestung Château d´If vorbeiflitzen. „Festhalten!“, befiehlt Thébault und steuert das Boot hart an den Wind, die Geschwindigkeitsanzeige gibt 34,7 Knoten (ca. 64 km/h) an.

Eine Kufe verhindert, dass der Lee-Rumpf ins Wasser taucht, der Luv-Rumpf erzeugt einen Sog, der ihn daran hindert abzuheben. Ein aerodynamischer Trick treibt den Trimaran voran: Der Fahrtwind auf der Luv-Seite addiert sich zum normalen Wind.

Traum einer Kindheit

Für Thébault begann alles mit einem fliegenden Teppich in einem Comic-Heft. Mit dem träumte sich der kleine Alain aus dem bretonischen Guilvinec aus der Realität. Mit einer Mischung aus Genie und Wahnsinn tüftelt Thébault seit gut 15 Jahren an seinem Projekt. Das erste Modell zog er noch an einer Kordel über den Kanal vor dem Versailler Schloss. Die Grundkonstruktion stimmte bereits: „Wir haben zwei Flügel, die den Rumpf des Boots abheben lassen.“ Die Umsetzung in der Praxis erwies sich als schwieriger. Bei seiner Jungfernfahrt erreichte das Schiff zwar sofort 28 Knoten, doch brach das Ruder. 2005 durchquerte die „Hydroptère“ den Ärmelkanal in nur 34 Minuten. Als im selben Jahr der Bootsmast brach, sprang der Schweizer Segler und Bankier Thierry Lombard als Sponsor ein.


© Laurent Vidal
Die l'Hydroptère am Kran vor dem Einwassern

Bis auf einen Teil des Rumpfs wurde die „Hydroptère“ rundum erneuert. Die aktuelle Version wiegt nur noch 6,5 Tonnen, so viel wie ein Fahrtensegelschiff. Am Ende des 3,3 Meter langen Ruders sitzen jetzt zwei 55 Zentimeter lange Flügel, die wie die Höhenruder eines Flugzeugs wirken. An den Seitenrümpfen verbergen sich die neuen Foils, die Meeresflügel der „Hydroptère“, die sie bis zu fünf Meter über das Wasser herausheben.


© Gilles Martin-Raget
Die Testfahrt mit an die 60 Knoten endet in einem spektakulären Überschlag
Mit diesem Modell glaubt sich Thébault fast am Ziel. Im April 2008 beschleunigte der Trimaran in sechs Sekunden von 33 auf 47,6 Knoten, mehr als 88 km/h. Bei Testfahrten Anfang Oktober erreichte die „Hydroptère“ kurzzeitig sogar 52,86 Knoten. Damit fehlen nur noch ein paar Meter zur Anerkennung als Weltrekord. Thébault ist sicher, dass er es schaffen wird: „Das ist nur noch eine Frage des Windes und des Trainings.“

Die Maße des Wellen-Seglers
Länge: 21 m
Breite: 24 m
Masthöhe: 23 m
Gewicht: 6500 kg
Segelfläche: 400 m2
Tiefgang: 3,5 m
Tiefgang im Flugmodus: 2 m